Autor/Titel: A.
Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb
Sechzehn Geschichten vereint
der neue Erzählband des slowenischen Schriftstellers Andrej Blatnik, und in
jeder einzelnen vermittelt er uns, wie nahe wir stets am Abgrund des Seins
entlang wandeln. Ob es sich um den kleinen Jungen handelt, der zu viele
Horrorfilme gesehen hat, um den Teetrinker, der an der unglaublichen Konsequenz
seines Besuchers buchstäblich zerbricht, oder um den gelangweilten Ehemann, der
eine Geliebte erfindet, weil er meint, dass dies von ihm erwartet wird, stets
zeigt sich, wie fragil das Gleichgewicht ist, das wir uns mühsam
zurechtgezimmert haben. Uns kommt in unserer Zeit vermeintlich eine große
Freiheit zu, doch wenn man nur ganz leicht an der Oberfläche kratzt, ist der
glänzende Lack unserer Gesellschaft ganz schnell ab. Blatniks Protagonisten
sind tatsächlich und wortwörtlich ins Nichts der Geschichte geworfen, erweisen
sich als verletzlich und vereinsamt, unfähig zur Kommunikation und bleiben
gerade darum mit ihrem Elend allein.
Blatniks Geschichten erheben keine vordergründige Anklage, sie halten Fakten fest.
Und dies in einer derart schonungslosen Offenheit, dass sich darob die mühsam
aufrecht erhaltene Fassade der Normalität als fatale Selbsttäuschung erweist.
Der Gesellschaft von heute fehlt es an jedweder Perspektive, und, so wissen wir
spätestens seit Jens Rehn, wo nichts in Sicht ist, kommt das Nichts in Sicht.
Und diese Erkenntnis erschüttert wohl jeden Alltag, auch wenn er noch so
routiniert und gesichert erscheint.
Andrej Blatnik, 1963 in Ljubljana geborener Erzähler, gilt zu Recht als
Vertreter einer völlig neuen Autorengeneration. Radikal räumt er mit allen
Mythen auf, die sich die menschliche Gesellschaft geschaffen hat und verweist
uns darauf zurück, was letztlich allein Bestand hat: unsere Angst vor der
Vernichtung, deretwegen wir uns an die verschiedensten Strohhalme klammern, in
der absurden Hoffnung, diese böten Sicherheit. Blatnik ist ein genialer
Chronist der zwischenmenschlichen Entfremdung und hält auch mit seinem neuen
Band unserer fatal entzauberten Welt gnadenlos den Spiegel vor. Er propagiert
das "Gesetz der Leere" ohne erhobenen Zeigefinger. Denn man muss die
Antwort nicht kennen, nur weil man die richtige Frage stellt.
Andrej Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb. Folio-Verlag, Bozen 2005, 129
Seiten, 19 Euro 50.
Erschienen
am: 31.03.2005