Autor/Titel: A. Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb

Medium/Datum: Wiener Zeitung, 31. März 2005

 

 

Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb

Horror vacui/ Von Andreas Pittler

Sechzehn Geschichten vereint der neue Erzählband des slowenischen Schriftstellers Andrej Blatnik, und in jeder einzelnen vermittelt er uns, wie nahe wir stets am Abgrund des Seins entlang wandeln. Ob es sich um den kleinen Jungen handelt, der zu viele Horrorfilme gesehen hat, um den Teetrinker, der an der unglaublichen Konsequenz seines Besuchers buchstäblich zerbricht, oder um den gelangweilten Ehemann, der eine Geliebte erfindet, weil er meint, dass dies von ihm erwartet wird, stets zeigt sich, wie fragil das Gleichgewicht ist, das wir uns mühsam zurechtgezimmert haben. Uns kommt in unserer Zeit vermeintlich eine große Freiheit zu, doch wenn man nur ganz leicht an der Oberfläche kratzt, ist der glänzende Lack unserer Gesellschaft ganz schnell ab. Blatniks Protagonisten sind tatsächlich und wortwörtlich ins Nichts der Geschichte geworfen, erweisen sich als verletzlich und vereinsamt, unfähig zur Kommunikation und bleiben gerade darum mit ihrem Elend allein.
Blatniks Geschichten erheben keine vordergründige Anklage, sie halten Fakten fest. Und dies in einer derart schonungslosen Offenheit, dass sich darob die mühsam aufrecht erhaltene Fassade der Normalität als fatale Selbsttäuschung erweist. Der Gesellschaft von heute fehlt es an jedweder Perspektive, und, so wissen wir spätestens seit Jens Rehn, wo nichts in Sicht ist, kommt das Nichts in Sicht. Und diese Erkenntnis erschüttert wohl jeden Alltag, auch wenn er noch so routiniert und gesichert erscheint.
Andrej Blatnik, 1963 in Ljubljana geborener Erzähler, gilt zu Recht als Vertreter einer völlig neuen Autorengeneration. Radikal räumt er mit allen Mythen auf, die sich die menschliche Gesellschaft geschaffen hat und verweist uns darauf zurück, was letztlich allein Bestand hat: unsere Angst vor der Vernichtung, deretwegen wir uns an die verschiedensten Strohhalme klammern, in der absurden Hoffnung, diese böten Sicherheit. Blatnik ist ein genialer Chronist der zwischenmenschlichen Entfremdung und hält auch mit seinem neuen Band unserer fatal entzauberten Welt gnadenlos den Spiegel vor. Er propagiert das "Gesetz der Leere" ohne erhobenen Zeigefinger. Denn man muss die Antwort nicht kennen, nur weil man die richtige Frage stellt.

Andrej Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb. Folio-Verlag, Bozen 2005, 129 Seiten, 19 Euro 50.


Erschienen am: 31.03.2005